Kapitän Nemos Bibliothek

Kapitän Nemos Bibliothek von Per Olov Enquist
Kapitän Nemos Bibliothek von Per Olov Enquist

In einem kleinen Dorf in Nordschweden werden am Tag ihrer Geburt zwei Kinder miteinander vertauscht. Zwei Jungen, die enge Freunde werden. Doch als sie sechs Jahre alt sind, soll der Irrtum beseitigt werden. Auf richterlichen Beschluß „zurückgetauscht“, müssen beide von nun an in den „richtigen“ Familien aufwachsen. Ein Akt scheinbarer Gerechtigkeit endet in Unglück, Gewalt und Wahnsinn.

Schon von Per Olov Enquists „Das Buch von Blanche und Marie“ war ich begeistert. „Kapitän Nemos Bibliothek“ setzt dem ganzen noch eins drauf. Das Buch ist schlicht genial, ich weiß keinen anderen Ausdruck dafür. Allerdings ist es auch nicht ganz einfach zu lesen.

Enquist schreibt aus der Sicht eines der ausgetauschten Jungen, namenlos, recht offensichtlich wahnsinnig, der versucht, die Ereignisse, die sein Leben bestimmt haben, zusammenzufügen. Seine Beobachtungen, seine Lebensweisheiten, die er dabei von sich gibt, sind von einer poetischen Klarheit, die atemberaubend sind. Eine großartige Arbeit des Übersetzers Wolfgang Butt, denn das war ganz sicher nicht einfach zu übersetzen!

Man muß sich einlassen auf diesen Text, der sich den Geschehnissen nicht direkt nähert. Stattdessen springt die Handlung desöfteren und einige der erzählten Ereignisse sind sicher rein fiktional. Erst langsam bekommt man ein Bild davon, was wirklich passiert ist. Und selbst am Ende des Buches ist man sich bei manchen Dingen noch immer nicht so ganz sicher.

Es ist nicht nur die Tatsache der Verwechslung bei der Geburt und des „Rücktauschs“ der beiden Jungen, sondern auch die streng-religiöse Atmosphäre in diesem abgeschiedenen schwedischen Dorf, die Saat für die Ereignisse legen. Es wird geschwiegen, statt sich zu offenbaren oder auch nur Alltägliches miteinander zu reden. Man berührt sich nicht, man umarmt sich nicht, man zeigt sich generell nur indirekt Sympathie oder gar Liebe. So ist es kein Wunder, daß nicht nur der Erzähler, sondern auch seine Mütter an den Umständen regelrecht zerbrechen. In seinem Wahnsinn nähert sich der Erzähler Geheimnissen, der Wahrheit und dem Begreifen:

Geheimnisse haben ja alle, es kommt darauf an, sie so auszusprechen, daß die anderen nicht verstehen, um sie dazu zu bringen, zu begreifen. Es ist ein großer Unterschied zwischen verstehen und begreifen.

Ein Buch, das man immer und immer wieder lesen kann.